Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Gegen die Verschärfung der politischen Krise in Deutschland sehen die Establishment-Parteien und die Anhänger der politischen Korrektheit nur noch einen Ausweg: Die massive Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten und der Staatsstreich.
Die Verabschiedung im Mai 2017 und das Inkrafttreten am 1. Januar 2018 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) haben die offizielle französische Presse (und vielleicht gar die sonstige europäische Presse) nicht sonderlich begeistert. Man muss auch schon zugeben, dass die heikle Frage der Erbschaftsfolge der kürzlich verstorbenen Rocklegende Johnny Hallyday diesseits des Rheins für viel mehr Aufsehen gesorgt hat als die politischen Geschehnisse jenseits des Rheins. Lediglich die linksextreme Zeitung Libération (vergleichbar mit der TAZ) hat kurz über die Debatte in Deutschland berichtet, dies allerdings nur stichwortartig und sehr oberflächlich. Bei den anderen französischen Medien wurde es nicht mal in den Schlagzeilen erwähnt. Dies, obwohl die französische Regierung eine vergleichbare Gesetzgebung für ihr Land, das Gott schon längst verlassen hat, plant.
Es handelt sich dennoch um ein historisches Ereignis. Für Deutschland allemal, sicherlich aber auch für ganz Westeuropa. Denn alle westeuropäischen Regierungen beobachten mit großem Interesse, was in Berlin in dieser Hinsicht geschieht.
Deutschland ist seit einigen Jahren mit einer der bedeutendsten politischen Krise der Nachkriegszeit konfrontiert. Überall hat die Unzufriedenheit eines wachsenden Anteils des Bevölkerung gegen die Migrantenflut und die Beschlagnahme der Demokratie durch eine immer autoritärer werdende Europäische Union, die aus ihrer Verachtung für den Willen der europäischen Völker keinen Hehl mehr macht, und obendrauf gegen die verheerenden und nihilistischen gesellschaftlichen Wahnvorstellungen der 68er-Generation den Aufstieg einer neuen Opposition begünstigt, vor allem rechts in der Form der demokratischen, liberalen, nationalistischen und volkspopulistischen, gesellschaftlich konservativen, gegenüber dem islamistischen Totalitarismus kritischen AfD, und in einem geringeren Ausmaß in der Form der linksextremen, antikapitalistischen und antiliberalen „Linke“. Diese Herausforderung der alt eingesessenen Parteien des Establishments hat das nach-schroederische politische Gleichgewicht im Rahmen einer Reihe von regionalen Wahlen ins Wanken gebracht. Dies sehr stark im Osten, aber auch nicht unwesentlich im Westen. Die letzten Bundestagswahlen haben sich katastrophal erwiesen, vor allem für die Sozial-Demokraten, aber auch begrenzt für die CDU/CSU, und sowieso für die ausgehende GroKo. Schlimmer noch: die langwierigen Bestrebungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel um eine Jamaika-Koalition auf die Beine zu stellen ist nach langen Monaten hin und her elendig gescheitert. Die Liberalen liebäugeln immer mehr auf den liberalen Flügel der AfD während die Grünen unter dem Einfluss der linksextremen „Fundis“ politisch blockiert werden. Angela Merkel, die unbedingt aus Angst der Verschlimmerung der Situation eine neue Wahl vermeiden will, hat sich im Endeffekt für die nächstschlechte Lösung entschieden: eine neue GroKo mit der SPD, obendrauf aber eine von der SPD dominierte GroKo!
Im Klartext: Die neue deutsche Regierung ignoriert nun völlig die Siegerparteien (AfD, FDP und Die Linke), nicht nur um eine auf die Verlierer (SPD und CDU/CSU) begrenzte Große Koalition ins Leben zu rufen, sondern auch noch um innerhalb derselben dem größten Verlierer ein Übergewicht zu geben! Eine demokratische Sinnlosigkeit, die dem Geiste des Grundgesetzes widerspricht!
In diesem Zusammenhang muss man auch das Inkrafttreten des NetzDG verstehen, auch wenn dieses vorher vorbeugend verabschiedet worden war: Das Gesetz beabsichtigt klar und deutlich jede Kritik der offiziellen Staatstheologie, und obendrauf jede politische Opposition zu kriminalisieren und schrittweise zu verbieten. Das Establishment reagiert auf den wachsenden Erfolg der neuen Opposition durch einen Staatsstreich.
Das NetzDG, ein Gesetz mit beunruhigenden, extremistischen Bestimmungen:
Das NetzDG präsentiert sich als der erste Artikel des sogenannten, breiteren Mantelgesetzes, dessen Artikel 2 aus dem Telemediengesetz, welches vor allem das Internet betrifft, besteht. Mit dem Rundfunkstaatsvertrag stellt das Telemediengesetz die wesentlichsten Bestandteile des Medienrechts in Deutschland dar.
Die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes sind folgende:
- Das Gesetz betrifft im Grunde die sozialen Netzwerke, die mehr als 2 Millionen Nutzer zählen, und zielt vor allem auf Facebook, Twitter und YouTube. Es schließt die elektronischen Postdienste und die Fachnetzwerke und ‑portale, sowie die Online-Spiele und ‑Verkaufsplattformen (eBay…) aus.
- Die Betreiber der sozialen Netzwerke sind dazu verpflichtet, die „sichtlich illegalen“ Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen, wobei im Falle von „komplexen Fällen“ (dessen Gesetzwidrigkeit nicht auf Anhieb klar ersichtlich ist und deswegen tiefer untersucht werden müssen) diese Frist auf 7 Tage verlängert werden kann; und sogar länger wenn man betrachtet, dass ein Autor das Recht eingeräumt werden soll, sich kontextbezogen rechtfertigen zu können oder wenn die Rechtmäßigkeit des Inhaltes durch eine staatlich zugelassene und vom Bundesamt für Justiz überwachte „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ untersucht werden soll. Wobei ein Bußgeld bei Missbrauch dieser Einrichtung droht.
- Das Gesetz verzichtet auf die Verpflichtung, sämtliche Kopien des rechtswidrigen Inhalts ebenfalls zu löschen und einen erneuten Upload durch Installation von Filtern zu verhindern.
- Es verzichtet ebenfalls auf die Einführung einer Clearingstelle, welche im Falle der Beanstandung einer Löschung die Rolle eines Schiedsrichters spielen sollte. Ein protestierender Autor kann in einem solchen Falle nur noch vor Gericht gehen.
- Die sozialen Netzwerke, welche ihre Verpflichtungen der Löschung und Kontrolle „regelmäßig und wiederholt“ verletzen, sollten und insbesondere darauf verzichten würden, ein effektives Beschwerdemanagement einzuführen, droht ein Bußgeld von bis 50 Mio. €.
- Die betroffenen Unternehmen müssen einen Ansprechpartner in Deutschland für die deutschen Justiz‑, Strafverfolger- und Bußgeldbehörden sowie Bürger benennen, die von illegalen Inhalten betroffen würden. Bei Verstoß gegen diese Bestimmung droht wieder Bußgeld.
- Den mutmaßlichen Opfern (von beschimpfenden oder verleumdenden Inhalten usw.) muss die Möglichkeit eingeräumt werden, gegen die Autoren dergleichen direkt vorzugehen. Sie dürfen also die Identität solcher Autoren erfahren. Dies allerdings nur nach Genehmigung eines Richters.
Ein politisch hoch umstrittenes Gesetz, im letzten Augenblick in zweifelhaften Bedingungen verabschiedet
Das Gesetz hat zähe Diskussionen hervorgerufen. Politiker aller Parteien, inklusive Politiker aus CDU, CSU und SPD, haben ihre Zweifel, Bedenken und Befürchtungen zum Ausdruck gebracht. Petra Sitte, Abgeordnete der Linken, sprach von einem Risiko schwerer Kollateralschaden für die Meinungsfreiheit (Zeit Online vom 30.06.2017). Der Abgeordnete der Grünen Konstantin von Notz vermerkte, dass das Gesetz die Betreiber der großen sozialen Netzwerk in eine Richterrolle drängte, die in einem Rechtsstaat nur der Justiz zukommen sollte und konnte. Diese Stellungnahme hat er anlässlich eines am 08.01.2018 dem Deutschlandfunk gewährten Interviews inzwischen wiederholt.
Nach der ersten Lesung des Gesetzes vor dem Bundestag am 19. Mai 2017 entschieden sich die Berichterstatter des Gesetzes einige Bestimmungen desgleichen anzupassen, ohne aber gänzlich darauf zu verzichten.
Schließlich wurde das Gesetz am 30.06.2017 verabschiedet, allerdings in Bedingungen, die nur als hochproblematisch angesehen werden können: Während nämlich diese Abstimmung direkt nach der Abstimmung des Gesetzes über die Ehe für Alle geplant war, welche immerhin 623 Abgeordnete im Plenarsaal des deutschen Bundestags versammelt hatte, waren nur noch 55 Abgeordnete geblieben, um über das NetzDG zu stimmen. Solch ein merkwürdiges Phänomen kann nicht als Beweis der Faulheit vieler Abgeordneten gedeutet werden, sondern vielmehr als ein unlauterer Protest der Abgeordneten der Regierungsfraktionen gegen ein Gesetz, das sie aus disziplinarischen Gründen befürworten müssen, obwohl sie nicht daran glauben. Kurz gesagt: Dieses Ereignis könnte als ein Indiz interpretiert werden, dass sogar eine Mehrheit der Regierungsparteienmitglieder von dem NetzDG nicht sonderlich angetan waren. Sie hatten dennoch nicht den Mut, gegen die Ermahnungen (und wahrscheinlich die Bedrohungen) der Leitungen ihrer Parteien zu stimmen und haben stattdessen es vorgezogen, kleinheimlich zu verschwinden. Das NetzDG wurde demnach von den Abgeordneten der CDU/CSU gewählt gegen die Stimmen der Linken, bei Enthaltung der Stimmen der Grünen. Die AfD hatte zu dieser Zeit keine Abgeordneten im Bundestag.
Dieses Gesetz wurde trotz der negativen Stellungnahme der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, welche auf eine Verfassungswidrigkeit und ein Verstoß gegen europäisches Recht schloss. Diese Vernachlässigung ist doch eine Seltenheit.
Die extremen Bedingungen in welcher das NetzDG verabschiedet wurde, werfen auf jeden Fall die Frage der Gesetzmäßigkeit seiner Verabschiedung: Der §45 der Bundestagsgeschäftsordnung bestimmt aber, dass mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein müssen (in dem Fall also 316 Abgeordnete) damit der Bundestag überhaupt beschlussfähig sei. Diese Bedingung war aber zur Zeit der Abstimmung des NetzDG nicht erfüllt.
Es ist damit unübersehbar, dass die Verabschiedung des NetzDG zumindest sehr zweifelhaft, auf jedem Fall illegitim und vielleicht illegal ist, den klaren Anschein eines Staatsstreiches annimmt. Ein solches Ereignis in einem Land, welches nach dem Krieg aus der strengsten Beachtung der demokratischen Prinzipien einen absoluten und unumgänglichen Muss gemacht hatte, kann man nur als erstaunliche und besorgniserregende Angelegenheit ansehen. Es ist als ob Deutschland zu alten, weniger glücklichen Zeiten zurückgekommen wäre, wohl aber in einer völlig anderen Konstellation als in 1933.
Seitdem hat die liberale FDP und die Grünen die Abschaffung des Gesetzes verlangt (Frankfurter Rundschau vom 07.01.2018). Warum die AfD nicht zu dieser Initiative stoßen konnte ist vielleicht auf eine Art „sanitäre Abschottung“ wie in Frankreich zurückzuführen ist, ein klarer Angriff gegen das Prinzip des Mehrparteiensystems, doch einer der Grundpfeiler des Demokratie. Die Parteien der GroKo, CDU/CSU und SPD – zumindest deren Parteienführung – haben dennoch diesen Antrag abgelehnt. Ob die Sache vor den Verfassungsgericht gebracht wird und was dieser daraus machen wird bleibt abzusehen.
Ein von quasi allen Experten als verfassungswidrig angesehenes Gesetz:
Der Prof. Dr. Marc Liesching, Professor für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig, einer der besten Spezialisten in seinem Fachgebiet, hat auf dem Online-Forum beck-community, welches seit 10 Jahren Stellungnahmen der besten deutschen Juristen publiziert (https://community.beck.de/2017.04.27/das-bundesverfassungsgericht-wird-das-Netzwerkdurchsetzungsgesetz-kippen), eine tiefgreifende und argumentierte Stellungnahme veröffentlicht, in welcher er die Verfassungswidrigkeit des NetzDG beweist.
Dies könnte man wie folgt zusammenfassen:
- Das Gesetz überträgt den sozialen Netzwerden Befugnisse, die alleinige Sache des Staates sind und niemals von privaten Einrichtungen, obendrauf Einrichtungen, die keinerlei juristische Qualifizierung noch Strafverfolgungs- oder gerichtliche Befugnisse besitzen;
- Das Gesetz tritt mit den Füssen sämtliche verfassungsmäßige und legale Bestimmungen hinsichtlich der Strafprozessordnung eines jeden demokratischen Rechtsstaates (etwa Klage, Verfolgung, Unschuldsvermutung, Verteidigungsrechte, widersprüchliche Untersuchung der Tatsachen, Sammeln von Beweisen, Recht auf ein faires Verfahren etc. etc.);
- Es besteht in Deutschland keinerlei gesetzliche Verpflichtung „illegale Inhalte“ zu löschen;
- Das Gesetz bergt das offensichtliche Risiko, dass völlig legale Inhalte ebenfalls gelöscht werden, was wiederum als unberechtigter Angriff auf die freie Meinungsäußerung gänzlich illegal wäre;
- An sich ist sogar die Bezeichnung “Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ betrügerisch, da die Durchführung des Gesetzes prinzipiell alleinige und ausschließliche Sache der polizeilichen und gerichtlichen Behörden und nicht privater Einrichtungen ist;
- Es existiert keine eindeutige legale Erklärung der Begriffe „Hassreden“ oder „Volksverhetzung“ und nur sehr unpräzise von „Fake News“ (Falschmeldungen), was aus diesem Gesetz ein juristischer und gerichtlicher Schwindel macht;
- Dieses Gesetz könnte auf rein willkürlicher Basis kritische, satirische oder humoristische und karikierte Äußerungen als „Fake News“ beschreiben, wegen der bewusst karikierten Form dieser Äußerungen – ein unglaublicher zivilisatorischer Rückschritt;
- Das Gesetz stellt ein massiver Angriff auf die Meinungsfreiheit, auf die Informationsfreiheit und auf die Unabhängigkeit der Journalisten und der Medien dar;
- Es ist selbstverständlich ein Zensurgesetz, was das Grundgesetz wiederum völlig verbietet;
- Das Gesetz hält das Grundprinzip der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz nicht ein;
- etc.
Der Prof. Dr. Marc Liesching beurteilt, dass das Bundesverfassungsgericht das NetzDG notwendigerweise als verfassungswidrig erklären wird.
Generell haben zahlreiche Rechtsexperte die Privatisierung der Zensur scharf kritisiert, indem sie betont haben, dass die Androhung exzessiver Bußgelder die sozialen Netzwerke dazu führen würden, eine massive präventive Zensur auszuüben, die notwendigerweise weit über die „illegalen“ Inhalte gehen würde, dies ohne richtige Fangnetze.
Ein von zahlreichen Journalisten bestrittenes Gesetz:
Journalisten aller politischen Richtungen haben massiv dem NetzDG vorgeworfen, eine „Zensurinfrastruktur“, „Angriff auf die Meinungsfreiheit“, „Privatisierung der Justiz“, „verfassungswidriges Gesetz“, „Angriff auf die Grundrechte und Grundfreiheiten“ zu sein.
Der Deutsche Journalisten-Verband hat scharfe Proteste geäußert und hat die Abgeordneten dazu aufgefordert, das Gesetz abzulehnen.
Der Verein Reporter ohne Grenzen hat die extremistischen Bestimmungen und den freiheitsfeindlichen Charakter des Gesetzes gerügt. Sein Geschäftsführer Christian Mihr hat ebenfalls das Gesetz scharf kritisiert und als „beschämend“ bezeichnet.
Die FAZ hat eine lange Reihe von Artikeln publiziert, die unterschiedliche Ansichten über das NetzDG vertreten (es manchmal auch verteidigen, fast immer aber mit Einschränkungen). Erwähnt wurden die Zensur von Politikern der AfD (02.01.2018); die Frage, ob das Gesetz besonders gegen die AfD gerichtet sei (08.01.2018); die Zensur eines Bundesministers für Justiz (Heiko Maas … Einführer des Gesetzes!) über Thilo Sarrazin, den Autor des Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ (08.01.2018); den Fall der Satirezeitschrift Titanic (11.01.2018); das Risiko übereiliger Zensuraktionen der sozialen Medien (12.01.2018); die Zensur einer berühmten deutschen Street Art-Künstlerin, Barbara (14.01.2018); die Proteste von Facebook (21.01.2018); der Ruf der Patrioten gegen die „Gedankenpolizei“ (29.01.2018).
Ein ganz besonders wichtiger Artikel der FAZ betont am 13.03.2018 das Risiko der verheerenden Verbreitung ähnlicher Gesetze in ganz Westeuropa und zitiert in diesem Zusammenhang den Ausruf des moslemischen Bürgermeisters von London Sadiq Khan, Berlin zu imitieren. Es handelt sich hier um eine prinzipielle Angelegenheit, denn wir hätten dann hier sehr wohl mit einem historischen Ereignis zu tun, bei allen Unterschieden ähnlich wie die faschistische Welle der 30er-Jahre. Und wir Franzosen wissen es schon zu gut wenn wir an dem bedrohlichen Projekt von Präsidenten Macron denken. Aber alle Länder Westeuropas (sowie viele Diktaturen in der Welt) beobachten sorgfältig die diesbezügliche deutsche Entwicklung. Mit dem NetzDG entsteht ein Präzedenzfall, der sich wie ein Lauffeuer verbreiten könnte und zu massiven Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten in Westeuropa allemal, wahrscheinlich sogar in vielen Ländern der Welt.
Die SZ ist der FAZ in nichts nachgestanden: die sozial-demokratische Zeitung eruierte die Frage der Zensur (01.01.2018); beurteilt, dass die ersten festgestellten Ereignisse nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die schlimmsten Befürchtungen bestätigt haben, insbesondere mit Erscheinungen massiver Zensur und massiver Angriffe auf die freie Meinungsäußerung (08.01.2018); erinnert daran, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist (13.01.2018).
Die Zeit verteidigt das Prinzip des Gesetzes, betont aber gleichzeitig seine Schwächen (09.01.2018).
Harald Martenstein, Journalist beim Tagesspiegel, sprach von politischer Kultur nach Erdoğan und betont, das Gesetz schien direkt aus dem Roman „1984“ zu stammen, und sei ein „Angriff gegen die Gewaltenteilung“. Der Journalist und bekannter Schriftsteller Burkhard Müller-Ullrich beurteilte, die Absicht der Regierung ging es überhaupt nicht um „Hass und Hetze“ allgemein, sondern um „das Mundtotmachen seiner politischen Gegner“.
Proteste der betroffenen sozialen Netze:
Die betroffenen sozialen Netze haben generell die von den Experten und Journalisten ausgedrückten Kritiken übernommen und wiederholt. Facebook hat Ende Mai 2017 eine offizielle Stellungnahme an den deutschen Bundestag übermittelt, in welcher es die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes betonte, und worin es hieß, der Rechtsstaat dürfe nicht die eigenen Versäumnisse und die Verantwortung auf private Unternehmen abwälzen. Die Verhinderung und Bekämpfung von Hassreden und Falschmeldungen „sei eine öffentliche Aufgabe, der sich der Staat nicht entziehen darf.“
Tiefe Bedenken der Vereinten Nationen:
Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für den Schutz der Meinungsfreiheit, David Kaye, hat das NetzDG in einer Stellungnahme von Juni 2017 schwer kritisiert. Diese Stellungnahme wiederholt die vorher bereits ausführlich erwähnte Bemängelungen zahlreicher Experte und Journalisten. Laut Kaye würde außerdem das NetzDG mit internationalen Menschenrechtserklärungen wie
dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht vereinbar. Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte garantiere das Recht auf freien
Zugang zu Informationen und das Teilen von Informationen.
Die Bundesregierung wurde dazu aufgefordert, hierzu binnen 60 Tagen Stellung zu nehmen.
Unausgedrücktes, doch deutlich spürbares Unbehagen bei der Europäischen Kommission:
Das Verhalten der Europäischen Union suggeriert ebenfalls ein tiefes Unbehagen über das deutsche Vorgehen in Brüssel. Das NetzDG wurde ganz einfach auf Eis gelegt, angeblich um den Experten genug Prüfungszeit zu lassen. Es ist aber zweifelhaft, dass das NetzDG mit dem europäischen Recht, insbesondere mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der europarechtlichen Vorgaben im Bereich der „Dienste der Informationsgesellschaft“ (E‑Commerce-Richtlinie) vereinbar ist. Alles deutet dennoch an, dass Brüssel der Meinung ist, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Berlin aber nicht verärgern will. Die EU-Justizkommissarin Věra Jourová aus Tschechien, einem Visegrád-Staat, hat dennoch kritische Äußerungen über das NetzDG zum Ausdruck gebracht.
All dies beweist, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches insbesondere die französischen Medien nicht gerührt hat, sehr wohl ein historisches Ereignis darstellen könnte:
- Der extremistische Charakter seiner Bedingungen verletzt nach fast einstimmiger Meinung zahlreiche Grundprinzipien eines demokratischen Rechtsstaates, der Menschen- und Bürgerrechte, des europäischen Rechts und der internationalen Pakte der UNO;
- Das beharrte und fast fanatische Verhalten mit welchem die politischen Leitungen von CDU/CSU und SPD den allgemeinen Aufschrei und die harschen Kritiken, inklusive aus den eigenen Reihen, ignoriert haben, betont die immense Ratlosigkeit der Parteien, die sich durch den sogenannten „Populismus“ (orwellsche Neusprache für „Demokratie“) bedroht fühlen;
- Bei ansonsten gleichbleibenden Gegebenheiten erinnert doch die Verabschiedung des NetzDG an die Art und Weise wie damals der Reichskanzler Adolf Hitler nach dem Reichstagsbrand von einem damals von jeder politischen Opposition gesäuberten Reichstag Anfang 1933 eine Reihe von Sondergesetzen hatte verabschieden lassen, die die Demokratie in Deutschland konkret aushöhlte – ohne jedoch die Weimarer Verfassung, eine der demokratischsten ihrer Zeit, direkt selbst abzuschaffen (Reichstagsbrandverordnung, Gleichschaltungsgesetz und Ermächtigungsgesetz).
- Das in mehr als zweifelhaften Bedingungen verabschiedete NetzDG demonstriert, dass sehr wohl nicht in Osteuropa, wo die Zensur sehr gering ist (zur Erinnerung ist die Zensur in Frankreich eher vergleichbar mit der in China und Nordkorea, ohne dass dies Irgendjemand in Westeuropa stört) und die Regierungen ganz normal gewählt werden, die von „Illiberalismus“ bedroht werden; in Westeuropa ganz im Gegenteil häufen sich „Große Koalitionen“ von Verlierern (meldungswürdig wäre zum Beispiel Schweden, wo der Wahlprozess wegen der Fortschritte der Schwedendemokraten bis 2022 aufgehoben ist, oder noch die Niederlanden) sieht man immer mehr latente Staatsstreiche und Phänomene der massiven Aufhebung bürgerlicher Freiheiten und Rechte. In Westeuropa nämlich haben immer weniger legitimen Establishment-Parteien entschieden, dass die Grundätze der Globalisierung, der Einwanderung usw. nicht mehr Gegenstand der politischen Debatte und der demokratischen Wahlen unterlegt sind, sondern inzwischen religiöse Dogmen sind, die die Wähler nicht mehr in Frage stellen können, dies auf der Basis der Betonsprache totalitärer Staaten („Rechtsextreme“, „Populismus“, „Rechtspopulismus“, „Rassismus“, „Islamophobie“, „Hassreden“, „Falschmeldungen“). Die Verabschiedung von Gesetzen, die die Bürgerfreiheiten und –rechte sowie die freie Äußerung der Meinungen stark einschränken scheinen geeignet zu sein, um das Phänomen „Großer Koalitionen“ von Verlierern zu ergänzen, indem die zivilen und politischen Rechte der Opposition schrittweise aufgehoben werde, diese kriminalisiert und im Grunde verboten wird; in Frankreich brauchen wir keine Großen Koalitionen, weil das Wahlsystem so beschaffen ist, dass ein Präsident wie Herr Macron und seine Staatspartei 100% der Macht ausüben dürfen, dies aber mit nur 18% der Stimmen von Klientelen, die gekauft werden – das Ganze unter dem lauten Beifall ganz Westeuropas;
- Es ist unbestreitbar, dass das NetzDG (und die Großen Koalitionen von Verlierern) überhaupt DAS Modell des Widerstands des Establishments gegen die sogenannten „Populismen“ darstellt. Die Reden des links-islamistischen Bürgermeisters von London sowie die Projekte von Präsident Macron in Frankreich können nur diesen Eindruck verstärken. Die Geschichte scheint sich zu beschleunigen.
Quellen
- Libération vom 04.01.2018
- FAZ vom 02.01.2018
- FAZ vom 08.01.2018
- FAZ vom 08.01.2018
- FAZ vom 11.01.2018
- FAZ vom 12.01.2018
- FAZ vom 14.01.2018
- FAZ vom 21.01.2018
- FAZ vom 21.01.2018
- FAZ vom 13.03.2018
- SZ vom 01.01.2018
- SZ vom 08.01.2018
- SZ vom 13.01.2018
- Die Zeit vom 11.04.2017
- Die Zeit vom 30.06.2017
- Die Zeit vom 09.01.2018
- Deutschlandfunk vom 08.01.2018
- Frankfurter Rundschau vom 07.01.2018
- Reporter ohne Grenzen vom 19.06.2017
- Tagesspiegel vom 19.03.2018
- Spiegel online vom 11.04.2017